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La Cenerentola - Aschenputtel

 

Pforzheimer Zeitung

Montag, 18. Februar 2013

Getrost darf man sich in Pforzheim den Wonnen sinnlicher Musik und der einfallsreichen Inszenierung von Bettina Lell überlassen: Ihre „Cenerentola“, die am Samstag im Stadttheater eine begeistert aufgenommene Premiere erlebte, verweigert sich den Irritationen des modernen Regietheaters und bietet Rossinis .Aschenputtel. mit ironisch distanziertem Amüsement als Spieloper und Charakterkomödie der alten Schule.
Das nach Charles Perraults Märchen auf einer Textfassung von Jacopo Ferretti basierende Opern-Libretto kommt ohne Zauberfee aus. Aus der bösen Stiefmutter ist der bankrotte adelige Stiefvater Don Magnifico geworden. Die Erkennungszeichen zwischen Aschenputtel Angelina und Prinz Don Ramiro sind nicht mehr passende Tanzschuhe, sondern silberne Armreifen. Auch fehlen die Linsen pickenden Tauben. Dafür stehen der von ihren Stiefschwestern Tisbe und Clorinde schlecht behandelten Angelina als Helfer der philosophierende Prinzen-Berater Alidoro sowie weiße Mäuschen zur Seite. Und der Prinz, bis zum Happy End inkognito, lässt an seiner Statt wie in einer Verwandlungskomödie seinen fürstlich verkleideten Leibdiener Dandini agieren.

Diese Abweichungen nutzen Lell und Ausstatterin Beate Zoff zu köstlich verspielten Bühnen-Einfällen. Ganz in Weiß gekleidete und maskierte Ballett-Kinder begleiten tanzend und tändelnd ihr Aschenputtel (Marie-Kristin Schäfer), helfen ihr wie Heinzelmännchen aus jeder Not und befördern sie in ihrer Fantasiekutsche zum Prinzenball. Gleich einem glücksbringenden Kaminfeger gekleidet, tritt Alidoro (Cornelius Burger) auf. Magnifico (Axel Humbert) erscheint zuerst oben auf einer Brüstung der Hinterbühne im Bett liegend als Spitzwegs „Armer Poet“, später aufgeplustert als betrunkener Schloss-Kellermeister. Die bösen Schwestern (Alexandra Paulmichl und Maria Perit) sind in bunten Rokoko-Kostümen mit abenteuerlich abstehenden Perücken ulknudelige Schaluppen. Während Prinz Ramiro (Joan Ribalta) in steifer Livree agiert, ist Dandini (Aykan Aydin) ein eitel-barocker Sonnenkönig samt Puderschminke, Pompperücke und hochhackigem Schuhwerk, dem schmeichelnde Domestiken auf Schritt und Tritt kleine Teppichabstreifer auslegen. Die staubgraue Angelina haust derweil im offenen Kamin, um sich bald wie ein Phönix aus der Asche im Brautkleid zum strahlend blonden Hollywood-Star zu wandeln.

Nicht ganz so überzeugend wie ihr glanzvolles Spiel sind die stimmlichen Qualitäten der in italienischer Originalsprache singenden Protagonisten. Stark tremolierend bietet Mezzosopranistin Schäfer ihren nicht nur wegen der umfangreichen Koloraturen schwierigen Part, läuft aber im Schluss-Rondo „Naqui all.affanno“ (Aus Kummer und Tränen) zu gehöriger Form auf. Tenor Ribalta zeigt sich nur in wenigen Abschnitten als Meister des Belcanto-Schöngesangs, die Bässe Aydin und Humbert orgeln zuweilen im Ungefähren, haben aber auch schöne Stellen. Mit Soubretten-Charme ziehen sich Paulmichl und Perit aus der Affäre, auch Burger singt durchaus angemessen. Erneut gefallen die von Salome Tendies einstudierten, schwungvollen Männerchöre. Und die auftrumpfenden Orchester-Crescendi, das Kerngeschäft jeder Aufführung einer Rossini-Oper, sind bei Kapellmeister Martin Hannus und seiner Badischen Philharmonie mit flotter Gangart bestens aufgehoben.

Badische Neueste Nachrichten

Montag, 18. Februar 2013

Kuschelbärchen. Bild der Mutter, die goldenen Schuhe und zuletzt das lebensgroße Foto des Prinzen: alles packt Angelina in ihren Koffer und läuft durch den Zuschauerraum in die Welt hinaus. In Bettina Lells Pforzheimer Inszenierung braucht Angelina kein Prinzessinnenkleid und keine Krone, denn sie hat sich mehr erkämpft, Selbstbewusstsein und Freiheit. Nur ihre Schürze hat sie abgelegt, nachdem sie voller Güte den Stiefschwestern und dem Vater vergeben und damit der Tugend zum Triumph verholfen hat, getreu dem in barocker Manier abgefassten Untertitel „La bontà in trionfo“ von Gioacchino Rossinis 1817 uraufgeführter „La Cenerentola“.

Keine Preziosen sind notwendig, wo Rossini sein Aschenputtel mit einer königlichen Bravourarie samt Rondo krönt, die diesmal nicht als vokales Glitzerwerk dienen, sondern von Marie-Kristin Schäfer als Freuden- und Freiheitsschrei verkündet werden. Schäfers leichter und schmaler Mezzosopran ist für die lyrischen Momente dieser Hochzeitsromanze besser geeignet, zum Beispiel für das Lied vom Traumprinzen zu Beginn der Oper, mit dem Rossini einen seelenvollen Ton anschlägt. Tatsächlich tritt in diesem Moment ein Traumprinz in Gestalt des königlichen Dieners herein. Liebe auf den ersten Blick, wie das Duett „Un soave non so che“, in dem Joan Ribalta, der sich später als unerschrockener tenoraler Höhenvirtuose zeigt, die Führung übernimmt.

Eine moderne Hollywood-Version würde hier enden. In seiner zum bürgerlichen Lustspiel umgedeuteten Version erzählt Rossini erst jetzt vom Kleidertausch des Don Ramiro mit seinem Diener Dandini, vom Fest auf dem Schloss und dem Armband, das der Prinz der schönen Unbekannten schenkte und an dem er seine Auserwählte wiedererkennt. Ob Don Ramiro letztlich Mr. Right ist, scheint ungewiss. Hier offenbart Bettina Lell eine gewisse Skepsis, so getreulich sie sonst in ein Märchenreich führt, in diesem Fall das von Beate Zoff als baufälliges Zauberschloss hergerichtete Palais des Don Magnifico, wo der Hausherr als armer Poet im Bett unter seinem Regenschirm wohnt und später als Ritter von der traurigen Gestalt durch die Ensembles stakst, was Axel Humbert mit formidabler Koloraturwendigkeit gelingt.

Aufgeputzt als wollen sie den Sonnenkönig in den Schatten stellen, zicken die Schwestern herum (Maria Perit und Alexandra Paulmichl), während dieser tatsächlich erscheint, denn Dandini lässt es sich nicht nehmen, in seinen Auftritt die ganze Dekadenz höfischen Gebarens zu legen, wobei sich Aykan Aydin ebenso wohl fühlt wie mit Rossinis Stimmfutter. Während sich Lell zwischen Parodie und Rührstück nicht zu entscheiden weiß, lässt Martin Hannus in der Ouvertüre das Rossini-Crescendo wie einen Sektkorken knallen und weist mit der bestens aufgelegten Badischen Philharmonie und Herrenchor und Extrachor des Pforzheimer Theaters auf Rossinis Herzenston hin, der in der „Cenerentola“ die schnurrende Buffokomödie hinter sich lässt.

 

Mühlacker Tagblatt

Montag, 19. Februar 2013

Geradezu märchenhaft inszeniert Bettina Lell die „Aschenbrödel“-Oper von Gioachino Rossini am Theater Pforzheim. Die musikalische Leitung des Dramma giocoso „La Cenerentola ossia La bontà in trionfo“ hat Martin Hannus.
38 Opern hatte er in 19 Jahren geschrieben, dann verstummte Gioachino Rossini als 37-Jähriger und komponierte in den folgenden 39 Jahren seines Lebens, abgesehen von Kirchenmusik und dem „Stabat Mater“-Oratorium, nur noch Salate und Pasteten. Das konnte sich der „Schwan von Pesaro“ leisten, denn die genialste seine heiteren Opern, mit denen er die klassische Opera buffa nochmals zur Blüte brachte, „Il Barbiere di Siviglia“, beherrschte die Bühne und brachte ihm ein Vermögen ein. Sie war es aber auch, die sich bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts fast als einzige seiner Opern einen festen Platz in den Spielplänen unserer Theater gesichert hatte. Dann setzte eine Rossini-Renaissance im deutschsprachigen Musiktheater ein. Man entdeckte den Komponisten des Ernsten, und man nahm auch weitere heitere Rossini-Opern in die Spielpläne auf.
1817 im Teatro della Valle in Rom uraufgeführt, wurde das von Gioachino Rossini in 24 Tagen komponierte Melodrama giocoso „La Cenerentola ossia La bontà in trionfo“, dessen Libretto Jacopo Ferretti in nur 22 Tagen nach der sieben Jahre zuvor in Paris gespielten Oper „Cendrillo“ von Nicolas Isouard und Charles Guillaume Étienne schrieb, bei uns lange Zeit, wenn überhaupt, dann zumeist unter dem Titel „Angelina“, in einer Bearbeitung von Hugo Röhr oder Walter Panofsky, gezeigt. In Pforzheim begegnet man nun aber dem Original – und dazu noch in italienischer Sprache.
Die Geschichte ist die des alten Zaubermärchens von Aschenbrödel, das seit der von Niccolò Vito Piccinni in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts komponierten Oper „La Cecchina ossia La buona figlioula“ von Carlo Goldoni immer wieder als Oper, aber auch als Ballett vertont wurde. Im Gegensatz zu Isouards märchenhaftduftiger Opéra comique wird in Rossinis Opéra buffa mehr das komische Element des Spiels in den Vordergrund gerückt. Ohne die Komik zu vernachlässigen, betont Bettina Lell in Pforzheim eher den Märchencharakter des Werks.

Drei Pierrots stellen die Geschichte pantomimisch vor
Das beginnt bereits mit einem stummen Spiel zu der Ouvertüre, bei dem drei als Pierrots verkleidete, maskierte Kinder zunächst hinter dem Bühnenvorhang hervorlugen und danach fast schon die ganze Geschichte pantomimisch vorgestellt wird. Dazu hat die Ausstatterin Beate Zoff einen noch von einstigem Reichtum zeugenden Raum aufgebaut, mit einem Kamin unter dem Familienwappen rechts und der Schlafecke hinter einer gebrochenen Balustrade oben, wo der Hausherr Don Magnifico mit einem Regenschirm wie Spitzwegs armer Poet im Bett liegt. Da agieren dessen Töchter Tisbe und Clorinde in Reifrockgestellen mit hoch und quer überzogenen Frisuren, und da zieht das blonde Aschenbrödel Angelina ganz in Grau goldene Schuhe an. Später taucht des Prinzen Vertrauter Alidoro als Bettler verkleidet auf, wird von Angelina freundlich empfangen und von deren Stiefschwestern unfreundlich behandelt.

Don Ramiro kommt als Butler verkleidet, sein Diener Dandini begleitet ihn als vermeintlicher Prinz. Und dann nimmt die Geschichte ihren bekanten Lauf, bis der Prinz Angelina einen Heiratsantrag macht. Dabei wird zwischendurch der Raum durch geschicktes Drehen der Wände in den Palast des Prinzen verwandelt. Und stets sind die Akteure märchenhaft, den jeweiligen Gegebenheiten angepasst, historisierend kostümiert. Und immer gelingt es Bettina Lell in der Personencharakterisierung und auch in der Führung des von Salome Tendies gut einstudierten Chors, das Märchenhafte des Geschehens in den Vordergrund zu stellen, wobei nicht zuletzt den zwei Stiefschwestern Angelinas die komische Seite der Angelegenheit anvertraut ist.
Im Mittelpunkt des Interesses steht die Titelrolle, die letzte von Rossini geschriebene Koloraturmezzosopran-Partie. Sie wird von Marie-Kristin Schäfer in jeder Beziehung exzellent gespielt und gesungen. Sie ist eine sympathische, dazu natürliche und auch in ihrem Aschenputtel-Gewand attraktive Angelina, die ihre Koloraturen gestochen singt und die darüber hinaus mit einer schön geführten, fülligen Stimme aufwartet, die den Weg zum dramatischen Fach weist. Joan Ribalta ist der sie erobernde, über einen strahlenden, lediglich
in der Höhe zuweilen etwas scharfen Tenor gebietende Don Ramiro. Mit sonorem Bass und komödiantischem Spiel gestaltet Axel Humbert die Rolle des Don Magnifico. Geradezu tragikomische Züge bringt Cornelius Burger als darstellerisch und stimmlich gleichermaßen überzeugender Alidoro ins Spiel.
Eine bewundernswerte musikdramatische Leistung vollbringt der Bariton Aykan Aydin mit seiner gekonnt-ausdrucksstarken Interpretation der Dandini-Rolle. Als Tisbe und Clorinde, als Angelinas böse Stiefschwestern, werden Alexandra Paulmichl und Maria Perit ihren Aufgaben gerecht. Nicht zuletzt sorgt das nuancenreiche Spiel der Badischen Philharmonie Pforzheim unter dem sensiblen, auch auf Zwischentöne achtenden Dirigat von Martin Hannus für den guten Gesamteindruck der sehens- und hörenswerten „La Cenerentola“-Aufführung in Pforzheim.