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2. Preis in der Altersgruppe 3

Ein Sommernachtstraum
von Paula Roth – 2. Preis in der Altersgruppe 3

Im Wald nahe Athens liefen der Elf Puck und Ferania den schmalen Pfad entlang, auf dem Weg zur Klippe. „Sie hassen mich! Meine Hautfarbe, meine Fähigkeit, komplett perfekt zu sein, mein Denken, mein Handeln. Sie verabscheuen alles an mir“, zischte Ferania und kickte einen Tannenzapfen nach vorne, der genau in der Mitte eines Baumstumpfes landete und dort liegen blieb. „Ja. Sie hassen dich, aber ich liebe dich. Ich liebe das Violett deiner Haut, das blasse Lila deiner Haare und deine dunkellila Augen. So dunkellila, dass man es mit schwarz verwechseln könnte. Ich liebe es, dass du die Fähigkeiten hast, vieles perfekt zu können, und ich liebe, wie du handelst“, meinte Puck und blickte das wunderschöne taniminasische Mädchen an. „Ach Puck, wenn doch alle nur genauso denken würden wie du, wenn doch alle akzeptieren würden, wie ich bin.“ Das sechzehnjährige Mädchen schluckte ihre Tränen hinunter und fasste Pucks Hand. Er blickte sie an und meinte: „Sie werden dich schon noch akzeptieren. Du bist perfekt und sie sind einfach nur neidisch.“ Ferania flüsterte: „Sie werden mich nie akzeptieren. Nur weil ich aus Tanima bin, hassen sie mich. Weil ich ihnen nicht ins Bild passe. Heute haben sie schon wieder gesagt, ich solle dorthin zurück und sterben.“ Eine kleine Träne lief dem Mädchen über die violette Wange. Sie dachte daran, wie einige Elfen sie in eine Sackgasse gelockt und anschließend mit Worten gequält hatten. Minuten fühlten sich wie Stunden an, die Worte wie Schläge. Als die Elfen fertig waren, ließen sie das weinende Mädchen alleine zurück.
Ferania hielt es langsam nicht mehr aus. Es war schrecklich, mit Hoffnung in ein neues Land zu kommen und dann ausgegrenzt und beleidigt zu werden, nur weil man anders war. So war das Leben für sie als Außenseiterin. Puck nahm ihren Arm. „Das wird bestimmt“, versuchte er sie zu beruhigen. „Nein! Das wird nicht und wenn es so bleibt, möchte ich nicht mehr hier sein“, sagte Ferania ohne irgendwelche Emotionen in der Stimme. Puck sah sie erschrocken an. „Wie meinst du das?“, wollte er wissen. „Eine Blume in der Wüste wird schnell unter dem Sand versinken“, meinte Ferania. Puck runzelte die Stirn. „Es wird nicht besser.“ Ferania wusste, dass sie Recht hatte. Puck machte sich Sorgen um seine Freundin. Da kamen sie an der Klippe an. Unter ihnen tosten die Fluten, das Wasser brach mit heftiger Wucht an den Felsen, die wie Speere aus dem Meer ragten. Es ging mehrere hundert Meter in die Tiefe, der Ausblick war unbezahlbar. Das Meer küsste den Himmel dort, wo sich der Horizont in einer nahezu geraden Linie über das Bild zog. Die Sonne, die hoch stand, strahlte und verbreitete eine kaum aushaltende Hitze.
„Erzähl mir endlich davon. Wie war es da, wo du herkommst? Was ist dort passiert? Was ist hier passiert?“, forderte Puck das kleine Mädchen auf und setzte sich in den Schatten. „Ich kann nicht“, presste Ferania hervor und schlang schützend die Arme um sich. „Bitte“, meinte Puck und legte ihr eine Hand auf das Bein. „Ich...“, sie zögerte. „Ich kann es versuchen.“ Puck rückte näher an seine Freundin.
***
Ferania rannte. Sie konnte langsam nicht mehr. Sie wollte eine Pause. Dieser Krieg würde niemals enden. Sie war perfekt, ihre Feinde waren perfekt – es war ein Teufelskreis. Ihre Gegner zielten haargenau und trafen stets ihr Ziel. Sie wich perfekt aus. Es würde kein Ende nehmen. Sie musste weg von hier, raus aus Tanima. Ferania rannte zu den Booten. Einer ihrer Gegner, der bei dem Hafen stationiert, war richtete den Pfeil auf sie und schoss. Sie sprang in eines der Boote und fing den Pfeil im Flug. Die Ruder rasten durch das Wasser und sie entfernte sich. Sie wusste auch schon, wo sie hin wollte. Sie wollte nach Athen. Es hieß, dort gäbe es Frieden, und Friede war das, was sie am meisten ersehnte.
Als Ferania ankam, das kleine Boot den Sand der Elfenküste berührte, überströmte sie Glück. Jetzt würde alles besser werden. Doch nichts wurde besser. Die Elfen waren misstrauisch, und aus Misstrauen wurde Hass. Eifersucht führte zu unbedachtem Handeln. Ferania wurde beleidigt, ausgeschlossen und gedemütigt. Das Einzige, was sie in der Stadt hielt, war Puck, doch auch dieser wurde mit der Zeit ausgeschlossen – wegen ihr. Sie fühlte sich elend und schuldig. Sie weinte jeden Abend. Ihr wurde klar, dass ihr Leben nichts Gutes für sie bereithielt.
***
„Aber was ist mit mir?“, wollte Puck wissen. „Du bist das Beste, was mir je passierte“, hauchte Ferania, „doch ich tue dir nicht gut. Ich tue niemandem gut.“ Bevor Puck etwas sagen konnte, sprang Ferania auf und sagte: „Ich liebe dich!“ Dann rannte sie auf den Rand der Klippe zu und sprang. Puck schrie auf und hetzte nach vorne. Er sah sie im Fall. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Lippen formten abermals ein „Ich liebe dich“ und er schrie. Er schrie, als gäbe es kein Morgen. Puck blickte weg, als der zierliche Körper des Mädchens mit voller Wucht auf die Felsen krachte.
Mit ihr verschwand sein Lebenssinn. Er sank zu Boden. Fassungslos starrte er in die Ferne. Ein paar Elfen, die von seinem Schreien angelockt wurden, rannten zu ihm. „Was ist denn passiert?“, wollte Mike wissen. Puck sagte nichts, die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen. Einige Elfen blickten hinunter auf den Leichnam des Mädchens. Ab und zu hörte Puck verschwommen, wie manche Elfen etwas sagten wie „Gott sei Dank ist sie tot“ oder „Geschieht ihr Recht!“. Die Trauer wurde zu Wut, der Wall brach und er sprang wutentbrannt auf: „Ihr habt sie getötet! Ihr alleine! Ihr seid ein Fluch und das Gegenteil von dem, was Elfen sein sollten. Was ist nur aus euch geworden?“ „Wir haben sie nicht getötet. Das warst du“, meinte Mike gespielt einfühlsam. „Nein! Sie ist gesprungen, hört ihr? Sie ist wegen euch gesprungen. Wegen euch! Was hat sie euch denn getan? Nichts! Ist es ein Verbrechen, Frieden zu wollen?“, schrie Puck aufgebracht und stieß die Elfen beiseite, dann rannte er in die Stadt.
Er hatte einen Plan. Sie sollten spüren, wie das Leben war, wenn man wegrennen muss, wenn man alles verliert. Sie sollten dafür bezahlen. Er schnappte sich mehrere Kanister Elfenfett, das brennbarste was es weit und breit gab, und lief mit geöffnetem Ventil einmal durch alle Straßen hindurch hoch auf den Berg der Sonne. Er blickte auf die Fettspur vor sich und dann auf die Fackel in seiner Hand. Puck holte tief Luft und ließ sie fallen. In Sekundenschnelle bildete sich ein Feuerteppich, der sich bis ins Tal zog und an den Holzhäusern der Elfen leckte. Puck wartete bis die ganze Stadt ein einziger Feuerball war, dann wandte er der Hitze den Rücken zu und lief in den Wald der ins Land hinein führte. Er wünschte, alles wäre anders gekommen, er wünschte er hätte ihnen allen sagen können, dass das passieren wird und dass sie etwas dagegen unternehmen sollten.
Da stand plötzlich ein kleiner Mann vor ihm. „Oh Puck, was hast du nur getan?!“, sagte der Mann und Puck antwortete nicht. „Siehst du diese Blume da?“, wollte der Mann wissen und zeigte auf eine wunderschöne rote Pflanze, die strahlte wie tausend Sterne. „Was ist mit ihr?“, hakte Puck nach. „Sie ist magisch. Rieche an ihr und die Zeit wird zurückgedreht werden. Dann könntest du alles richtig machen. Du hast es in der Hand. Mache, dass sie sie akzeptieren, und das Feuer muss nie existieren.“ Puck wollte gerade nachfragen, wer der mysteriöse Mann war, da war dieser schon wieder verschwunden. Puck atmete tief ein und ging auf die Blume zu. Er bückte sich und roch an ihr.
***
Puck wachte auf. „Hey Puck! Wach auf! Heute ist ein taniminasisches Mädchen am Strand angekommen! Sieh dir das an!“, rief seine Mitbewohnerin Patricia. „Es hat geklappt!“, dachte Puck doch dann stutzte er: „Oder war es vielleicht nur ein Traum?“
Puck rannte zum Strand, dabei hatte er eine Mitteilungsmuschel. Alle Elfen hatten sich um das Mädchen versammelt. Es war tatsächlich Ferania! Er rief in die Mitteilungsmuschel, sodass ihn alle hören konnten: „Ich muss euch was erzählen.“ Dann erzählte er von seinem Sommernachtstraum, der womöglich eine Zeitreise war. Die Elfen und Ferania hörten ihm gut zu und manche Elfen raunten: „So etwas würden wir nie tun.“ Dann meinte Puck: „Wir wollen ein Vorbild für alle anderen Völker sein und geflohene Wesen herzlich bei uns aufnehmen, niemanden ausgrenzen und jeden akzeptieren. Wir wollen eins sein mit denen, die schon schwerere Zeiten hatten als wir. Wir wollen Friede teilen, denn Friede ist eines der Dinge, die sich verdoppeln wenn man sie teilt. Herzlich willkommen Ferania!“ Alle Elfen stimmten mit ein: „Herzlich willkommen Ferania!“ Und das wunderschöne Mädchen strahlte glücklicher als je zuvor.