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1. Preis in der Altersgruppe 3

Pucks Zaubergarten
von Ella Brambeer – 1. Preis in der Altersgruppe 3

Es war einmal eine Prinzessin, die hieß Lucy. Sie war anders als die Prinzessinnen die man aus den Märchen kennt. Nachts schaute sie auf zu den Sternen.
„Wäre es nicht toll ein Stern zu sein?“, sagte Lucy eines Tages zu ihrem Vater. 
„Wird das wieder so ein philosophisches Gespräch? Ich habe einen straffen Terminplan, das weißt du.“
„Ja, ich weiß, Vater. Ich meine ja nur… Sterne sind frei“, sagte Lucy. 
Der König seufzte tief auf: „Mhmmm…“
„Ich will reisen, Vater. Ich will ferne Länder sehen.“ 
„Nicht das schon wieder, Lucy! Ich habe jetzt echt keine Geduld dafür. Frei sein, frei sein, frei sein! Morgen ist deine Verlobung, hörst du? Du brauchst keine Freiheit, du brauchst einen Mann der dich in Zaum hält. Du wirst Prinz Waldemar aus Pomposia heiraten. Ende der Diskussion!“
Doch am nächsten Morgen kam Lucy nicht aus ihrem Zimmer. 
„Wo steckt sie denn? Wo steckt meine Braut?“, fragte der Bräutigam. 
„Geduldet Euch, Prinz Waldemar“, sagte der König. „Ihr wisst doch, wie Frauen sind.“ 
Der König ließ den missmutigen Prinzen im Ballsaal stehen und ging die Wendeltreppe hoch, um nach seiner Tochter zu sehen. 
„Lucy! Wo steckst du? Prinz Waldemar wartet unten auf dich! Raus jetzt!“ 
Er riss ihren Bettvorhang zur Seite. 
„Vater, mir geht’s nicht gut“, sagte Lucy und hob ihren Kopf, ließ ihn aber gleich wieder fallen. 
„Und ich bin Zwerg Kunkelbunkel aus dem Geigersgrund!“, raunte ihr Vater. 
Er griff nach ihrer Hand. Sie war kalt. Kalt wie eine Leichenhand. 
„Ach du meine Güte!“, keuchte der König. 
Sofort ließ er die besten Ärzte seines Königreichs holen. Doch auch nach zwei Wochen, vier Kräuterbädern, zwei Einbalsamierungen und einem Exorzismus war sie blasser denn je. 
Sie siechte vor sich hin, und niemand konnte ihr helfen.
Eines Abends kam der König in ihr Zimmer. Dort standen Hans, der Gärtnerjunge und Marga, die Köchin. 
„Hans, spielst du mir was vor?“, fragte Lucy mit schwacher Stimme. 
Hans nahm seine Flöte und fing an zu spielen. Die Melodie schmolz wie warme Butter. Tränen stiegen in die Augen des Königs. Marga nahm seine Hand. Und so standen sie da und hörten zu.
Eines Tages kam ein Elf zum König. Er war klein und hatte knubbelige Knie. Seine Haare waren feuerrot und standen von seinem Kopf ab. 
„Wer bist du?“, rief der König erstaunt. 
„Ich heiße Puck und komme von weit, weit her. Mein kleines Häuschen steht am Rande Eures Königreichs, auf der weißen Klippe, dort wo das Meer die Sonne schluckt“, sagte der Elf. 
„Was willst du in meinem Schloss, Puck?“
„Ich kann Eure Tochter retten.“ 
„Weißt du, wie viele Hirnis mir das schon gesagt haben? Wie willst du meiner Tochter denn helfen? Mit einem Tänzchen? Willst du ihr was vorsingen, hm?“ 
„Mit der Zauberblume“, sagte Puck und schmunzelte. „In meinem Garten wächst eine rote Blume, die heilende Kräfte besitzt. Legt Eure Tochter neben diese Blume und sie wird wieder gesund.“ 
„Was willst du dafür?“, fragte der König. „Gold? Jungfrauen?“
„Nein, nein, das ist mir nichts wert. Ihr müsst wissen, in meinem Garten leben die schönsten Lebewesen Eures Königreichs: Zentauren und Elben und Schwäne mit goldenen Flügeln. Meine Sammlung ist fast komplett. Doch ist es mir bislang nicht gelungen, eine passende Menschenfrau zu finden. Eure Tochter ist ein Prachtexemplar. Sie ist das schönste Mädchen in Eurem Königreich. Aber solltet Ihr auf mein Angebot eingehen, müsst Ihr wissen, dass Eure Tochter meinen Garten niemals wieder verlassen darf. Setzt sie auch nur einen Fuß hinaus, so wird sie sterben.“ 
„Sterben? Wie bitte?“, fragte der entsetzte König.
„Und da wäre noch eine Klitzekleinigkeit, also echt kein Drama“, fuhr Puck fort. „Ihr, Eure Majestät, dürftet den Garten nur mit Augenbinde betreten. Seht Ihr die Prinzessin an, so verwandelt Ihr euch in einen prächtigen Baum. Ist das nicht schön? Dann wäre der Zauber gebrochen, und die Prinzessin dürfte gehen.“ 
„Ich glaub ich spinne!, schrie der König. „Rauuuuuus aus meinem Schloss! Rauuuuuuusss!!!“
„Eure Majestät“, rief eine Stimme. 
„Köchin Marga? Was ist?“, fragte der König.
„Die Prinzessin“, keuchte sie. „Kommt schnell!“
Sie rannten zu ihr ans Bett. Und da lag Lucy. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie wälzte sich hin und her. Ihr Atem war stockend und flach. 
„Lucy, hörst du mich? Lucy!“, flehte ihr Vater. „Marga, was sollen wir bloß tun? Sie darf nicht sterben! Puck? Puck!!! Holt den Elfen!“, befahl er den Wachen. 
Als Puck kam, sagte der König: „Puck, vergiss, was ich gesagt habe. Ich mach alles, was du willst! Bitte hilf ihr!“ 
Der König hob seine Tochter aus ihrem Bett. 
„Kommt mit, eure Majestät“, sagte Puck. „Mein Pferd steht gleich vor dem Schlosstor.“ 
Sie eilten hinaus. Der König hob Lucy auf das Pferd und Puck sprang hinterher. 
Puck nahm die Zügel in die Hand. 
„Pass gut auf sie auf.“, sagte der König. 
„Ich reite geschwind! Kommt bei Sonnenaufgang!“
Puck schnalzte mit der Zunge und sie galoppierten davon.
Am nächsten Morgen ritt der König zu Pucks Haus. Die Mauer des Zaubergartens war von Efeu überwachsen. Er setzte seine Augenbinde auf und ging durch die eiserne Pforte. Es roch nach süßem Aprikosensorbet und Bienen tanzten um ihn herum. 
„Lucy, bist du da?“, rief er. 
„Vater?“, rief eine Stimme. „Vater!“ Lucy rannte auf ihn zu. 
„Lucy, mein Kind!“ Er drückte sie fest an sich. „Gott sei Dank, dir geht es gut. Ich hatte solche Angst um dich.“ Der König fing an zu weinen. 
„Es ist alles wieder gut, ich bin hier“, sagte Lucy. „Aber was ist eigentlich mit diesem Elfen los? Er starrt mich schon den ganzen Morgen an, echt creepy. Und warum trägst du eine Augenbinde?“
„Also, das ist Puck. Der ist ein bisschen merkwürdig, aber total harmlos.“ Und dann erzählte der König von der Zauberblume und allem Drum und Dran. Als er fertig war, sagte er: „Du darfst diesen Garten also niemals verlassen, hast du verstanden?“
„Ja… verstanden“, sagte Lucy.
Monate vergingen, und jeden Tag kam der König in den Zaubergarten und besuchte die Prinzessin. Dann saßen sie auf der Wiese und aßen Butterbrote mit Rosmarin. 
„Ich vermisse Hans, wie geht es ihm? Spielt er immer noch auf seiner Flöte?“ 
„Ja, allerdings. Er war letztens bei mir im Schloss.“ 
„Wirklich?“
„Er kam zu mir und fragte, wo du steckst. Als ich ihm sagte, dass du schläfst, ging er an den Wachen vorbei schnurstracks vor dein Zimmer. Er spielte den ganzen Nachmittag Flöte, bis ihn Köchin Marga aus dem Schloss scheuchte. Du hättest ihren Blick sehen sollen!“
Die Prinzessin lachte, doch dann wurde sie still. 
„Was ist los?“, fragte der König. 
„Ich habe nur nachgedacht… Ich werde ihn wohl nie wiedersehen“, sagte sie und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Vaters. 
„Du liebst ihn, oder?“
„Ja, Vater, ich liebe ihn.“ 
Er spürte wie ihre Tränen auf sein Gewand tropften. Da fasste der König einen Entschluss. Er nahm seine Augenbinde ab und sah seine Tochter an. 
„Lucy, mein Stern“, sagte er und lächelte. 
Ein Schleier legte sich über seine Augen. Und plötzlich spürte die Prinzessin, wie sein Körper kalt und starr wurde. Lucy erschrak und sprang auf. Entsetzt sah sie zu, wie die Arme ihres Vaters zu Ästen wurden – und seine Haut borkig und hart. Seine Füße gruben sich in die Erde und die Wurzeln wölbten sich wie Schlangen. Er wuchs und wuchs. Blätter breiteten sich aus und reichten hoch in den Himmel. 
„Ahhhh! Hilfe Puck! Puck!“, schrie Lucy. Puck rannte auf sie zu. 
„Was ist? Hat der Phönix wieder meinen Lorbeer in Brand gesetzt? Oh!“, sagte er und blieb stehen. Er schaute zum Baum hoch. 
„Verdammt, er hat‘s wirklich getan“, er legte seine Hand auf die Schulter der Prinzessin. 
„Hat er dir das nicht erzählt?“ 
„Was erzählt?“, fragte Lucy. 
„Dass er sich bei deinem Anblick in einen Baum verwandeln wird. Und ein echtes Prachtexemplar von einer Eiche ist er geworden, wenn man das so sagen darf!“, sagte Puck bewundernd.
Lucy schüttelte den Kopf. 
„Das war der Preis für deine Freiheit. Verstehst du? Der Zauber ist gebrochen. Du darfst jetzt gehen. Du bist frei.“ 
Sie standen lange da und schauten in die Äste der Eiche. 
„Es ist Zeit“, sagte Puck schließlich. 
Die Prinzessin schritt auf das Tor zu, öffnete es und drehte sich zu Puck um. 
„Auf Wiedersehen“, sagte sie, und ging hinaus.
Die Prinzessin ernannte Köchin Marga zur Königin. Sie nahm Hans mit sich und zusammen bereisten sie die Welt. Sie lernte zehn Sprachen und schieb fünfzehn Bücher über ihre Abenteuer. Doch Lucy sehnte sich nach ihrer Heimat, und so kehrten Hans und sie nach vielen Jahren in das Königreich zurück. Sie bauten sich ein kleines Haus aus Ziegelsteinen, direkt gegenüber von Pucks Haus. An einem warmen Nachmittag saßen Lucy, Hans und ihre drei Kinder unter der großen Eiche in Pucks Zaubergarten. 
„Hey, Kinder, wollt ihr die Geschichte von der Prinzessin und der Zauberblume hören?“
„Prinzessinnen sind doch langweilig…“
„Ich glaube, diese Prinzessin werdet ihr mögen.“
Lucy zwinkerte Puck zu.